Neben dem königlichen Schloss war ein großer Marktplatz. Vom ganzen Land kamen die Leute dort zusammen, um ihre Waren zu verkaufen. Ein alter Mann brachte einen Ochsen hin. Es war ein schönes Tier, deshalb versammelten sich viele Käufer um ihn.
„Schön ist dein Ochse, Großvater. Wie viel verlangst du für ihn?“, fragte einer.
„Das linke Auge des Königs, mein Sohn“, antwortete der alte Mann.
Alle wunderten sich über den alten Mann. Wieso wagt er so etwas zu sagen! Wenn ihn der König hört, wird er ihm den Kopf abschlagen.
Später fragte ein anderer, wie viel der Ochse wert sei. Der Mann antwortete wieder: „Das linke Auge des Königs.“
Das verbreitete sich auf dem ganzen Markt.
Von diesem alten Mann hörte auch der König. Sofort gab er Befehl, den alten Mann zu ihm zu bringen. Als er zum König gebracht wurde, fragte der ihn: „Großvater, warum brauchst du mein linkes Auge, dass du dafür einen so schönen Ochsen gibst?“
„Verzeih mir Herr!“, sagte der alte Mann. „Ich weiß es nicht. Ich habe eine Tochter. Was sie will, kann ich ihr nicht abschlagen. Sie trug mir auf, den Ochsen für dein linkes Auge zu verkaufen.“
Der König ließ den alten Mann frei und befahl, das Mädchen zu ihm zu bringen. Noch am selben Tag wurde sie zu ihm gebracht. „Warum sagtest du deinem Vater, für den schönen Ochsen mein linkes Auge zu verlangen?“
„Weil ich dich sehen will“, sagte das Mädchen. „Sonst hättest du mich nicht rufen lassen.“
„Wozu brauchst du mich?“
„Damit ich dir sage, was das Volk von dir denkt.“
„Nun, lass hören!“
„Aber nur, wenn du nicht böse wirst.“
Der König war einverstanden.
„Das Volk sagt, der König braucht das linke Auge nicht.“
„Wieso denn nicht, Mädchen?“
„Wenn sie zu dir kommen, um Recht zu verlangen oder einer anderen Sache wegen, dann setzt du die Reichen zu deiner Rechten, aber die Armen zu deiner Linken. Immer aber gibst du den Reichen recht, deshalb sagt das Volk, dass du mit dem linken nicht siehst.“
Der König wurde böse und befahl, das Mädchen einzusperren. Nach einigen Tagen überlegte er es sich und entschloss sich zu prüfen, ob das Mädchen wirklich klug sei. Darum befahl er, es zu ihm zu bringen. „Du, Mädchen, wenn du so gescheit bist, sage mir: Wie groß ist mein Reichtum?“, fragte er.
„Ich werde es dir sagen, wenn du dich mir einige Tage unterwirfst und meine Befehle ausführst.“
„Aber wenn du mir nicht richtig antwortest, werde ich dir den Kopf abschlagen.“
„Dein Reichtum hat den Wert einer Henne“, antwortete das Mädchen.
„Tötet sie sofort! Sie verspottet mich.“
„In einer Woche kannst du befehlen, mich zu töten, jetzt aber befehle ich, du glücklicher König“, sagte das Mädchen. Danach befahl sie, den König einzusperren, ohne ihm irgendein Essen zu geben. Nach einer Woche ging sie ins Gefängnis und hielt dem König durch das Fenster ein Brathendel hin. Er streckte die Hände aus, um es zu packen, aber das Mädchen zog es zurück.
„Was gibst du dafür?“, fragte das Mädchen.
„Alle Goldstücke, die ich habe.“
„Das ist zu wenig.“
„Meinen ganzen Reichtum.“
„Nicht wahr, ich sagte dir, dass er eine Henne wert ist!“
Dann ließ das Mädchen den König frei. Er sah, dass sie klug war, und nahm sie als Beraterin im Schloss auf.
Märchen aus Bulgarien
"Wer aus Niederlagen nichts lernt, wird niemals Sieger sein."
(Volksweisheit)
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